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Am 21.07.1958 verließ Karin Balzer, damals Karin Richert, zusammen mit Ihrem Trainer Karl - Heinz Balzer die DDR nach Ludwigshafen und kehrte am 21.09.1958 in die DDR zurück. Seither ranken sich um den Grund der Republikflucht, wie auch um den Grund der Rückkehr Gerüchte. Es ist nicht bekannt geworden, das Karin Balzer und Karl - Heinz Balzer "zurückgeholt" werden mussten. Es ist auch nicht bekannt geworden, dass die Rückkehr mit Karin Balzer's Vater erzwungen wurde.

Es ist nicht bekannt geworden, dass beide widerwillig zurückkehrten, die öffentliche Darstellung über sich ergehen ließen, nur um ihre Familie zu schützen.

Karin Balzer wurde mit einer 1 - jährigen Wettkampfsperre belegt und wurde bis zur politischen Wende bespitzelt. Ihr Trainer und ab 1961 Ehemann, durfte sie lange Zeit nicht zu Wettkämpfen außerhalb der DDR begleiten. So erlebte er Karin Balzer's Olympiasieg 1964 zu Hause.

Die Gründe der Repubklickflucht bestanden darin, das Karin Balzer zum damaligen Sportklub Dynamo Berlin "delegiert" werden sollte und das sich ihr Trainer, Karl - Heinz Balzer, zukünftig nur noch auf seine Eigenschaft als Lehrwart für Stabhochsprung in der DDR konzentrieren sollte. Da dies ohne Karin Balzer's Zustimmung erfolgen sollte und Ihr Trainer weiterhin vielseitig arbeiten wollte, entschloßen sich beide zu diesem Schritt, da objektiv kein anderer Weg vorhanden war.

Es spielte auch eine beginnende Zuneigung der damals 20- ig jährigen Karin Balzer zu ihrem Trainer eine Rolle, der diesen schicksalhaften Weg für beide einfacher erschienen ließ. Beide waren dann 47 Jahre glücklich verheiratet.........

Da in der ehemaligen DDR alle Vorgänge penibel niedergeschrieben wurden, war es nun möglich, mit sichergestellten Unterlagen des BStU, den Werdegang jener Republikflucht, anders als in den Medien der DDR politisch korrekt dargestellt, nachzuweisen. Es ist endlich die Möglichkeit gegeben, dass die Motive und der Werdegang dieser Angelegenheit beweissicher daliegen. So werden nachstehend Auszüge der Akten wiedergegeben. Die Verfasser jener Berichte, oder sonstig Beteiligten werden nicht namentlich erwähnt. Die Auszüge sind entsprechend des Tages der Niederschrift gelistet.

 

Ministerium für Staatssicherheit Bezirksverwaltung..... - Abteilung ... - Verfasst am 28.07.1958

Betr.: Republikflucht von Leistungssportlern

Bezug : Anforderung des Genossen Oberst ....

"Ergebniss der Aussprache : ... 3. Die Umsetzung der R. in die Trainingsgruppe des Genossen ... und später zum Schwerpunkt Berlin vorzunehmen. 4. Das Generalsekretariat ... in Kentniss zu setzen und zu beantragen, das der Genosse Balzer von allen zentralen Funktionen abgelöst wird. Zu der angesetzten Aussprache am 22.07.1958 er - schienen wieder beide nicht. Von uns werden Maßnahmen dahingehend eingeleitet, um in Verbindung mit dem ... sowie dem Sportklub Chemie die Tochter über den Vater aus Westdeutschland zurückzuholen. ... Von seiten des ... wurde eine Aussprache mit dem Vater der Karin Richert in Magdeburg durchgeführt... Er erklärte sich bereit, beim zurückholen seiner Tochter hilflich zu sein, .... Der Vater ist parteilos. Nach der Ausgestaltung der Wohnung zu urteilen, muß die Familie sehr religiös sein, da sehr viele Heiligenbilder an den Wänden hängen."

Leiter der Abteilung ... ........ Hauptmann

 

 

- Abteilung ... - vom 28.07.1958

Betr.: Aussprache mit den Eltern der Karin Richert in Magdeburg

"Am 28.07.1958 wurde mit den Eltern der Karin Richert eine Aussprache durchgeführt, mit dem Ziel, seine Tochter aus dem Westen zurückzuholen. Obwohl Herr Richert schon bei der ersten Aussprache mit einem Vertreter des ... sich bereit erklärte, beim zurückholen seiner Tochter behilflich zu sein, lehnte er anfangs jede weitere Aussprache darüber ab. So war zu verzeichnen, daß R. nachdem er hörte um was sich die Aussprache handelte, das Zimmer verließ. Durch langes und ruhiges Einwirken waren wir dann doch in der Lage das Gespräch mit ihm fortzusetzen. ... Nach 1 1/2 Stunden, ..., erklärte er sich bereit das Gespräch in seiner Wohnung, in Verbindung mit seiner Ehefrau weiter zu führen. Diese Aussprache dauerte ebenfalls über eine Stunde, da wir .... bei der Frau ebenfalls anfangs auf großen Widerstand stießen. Hier kam im Gespräch zum Ausdruck, daß sie wenig Vertrauen zu den Staatsorganen besitzen. Unter diesen Umständen wurde das Gespräch im Interesse der Eltern, des Sports sowie der DDR geführt. .... Folgende Maßnahmen wurden zur Rückkehr der Karin Richert durchgeführt : a) Freistellung des Herrn Richert vom Betrieb, für eine Fahrt nach Westdeutschland, da er in einem VEB - Betrieb als Schlosser arbeitet. Werkleitung, BPO in Verbindung mit der BGL gaben Zusicherung. b) Beschaffung einer PM 12a und Aushändigung derselben. Mit dem Gen. ... der BV Magdeburg wurde die Beschaffung der PM 12a abgesprochen. Ein Bild wurde dazu ausgehändigt. c) Mit den beteiligten Personen wurde abgesprochen, daß die Reise sofort nach der Klärung des Aufenthaltes durchgeführt wird. d) Mit dem Vertreter des ... , Gen. ... wurde abgesprochen, daß der Gen. ... die Reise nach Westdeutschland von seiten des ...unternimmt. e) Das Geld wurde am 30.07.1958 vom ... in Berlin angefordert und mitgebracht. Es besteht die Möglichkeit legal Geld mit nach Westdeutschland zu nehmen, so daß die Rückführung der Karin Richert von der finanziellen Seite gewährleistet ist. f) Herr Richert wird vom ... dahingehend unterrichtet, daß der Reise nach Westdeutschland nichts im Wege stehe, da die nötigen Unterlagen besorgt wurden. "

... (Unterleutnant) 

 

 

Aktennotiz vom 07.08.1958

"Am 25.07.1958 fand eine Aussprache mit den Vertretern des Deutschen Turn - und Sportbundes, des Generalsekretariats Leichtathletik und des SC Chemie statt. ..... In der gemeinsamen Aussprache wurde das verwerfliche Handeln der beiden Sportfreunde verurteilt. Es wurde aber gleichzeitig beschlossen, das es notwendig ist, bei Bekanntwerden der Adresse unbedingt zu versuchen, die beiden Republikflüchtigen wieder zurückzuholen. Am 1.08.1958 waren dann alle Formalitäten erledigt und um 23.56 Uhr fuhren der Sportfreund ... und Herr Richert nach Ludwigshafen. ... In Bad Hersfeld kam dann ein Angehöriger der Bundespolizei in unser Abteil und erkundigte sich, ob die beiden Hallenser noch anwesend sind. In der anschließenden Unterhaltung versuchte der angehörige der Bundespolizei, uns zu überzeugen, dass es richtig wäre, zurückzufahren, ehe wir mit den Gesetzen der Bundesrepublik in Konflikt kommen. ... Ich äußerte ihm, das wir nicht daran interessiert sind, die Gesetze der Bundesrepublik zu mißachten und daß wir in den Urlaub fahren. Diese Unterhaltung dauerte von Bad Hersfeld bis Fulda. Dadurch gewarnt, fuhren wir nicht direkt bis Ludwigshafen, sondern stiegen in Mannheim aus und fuhren mit der Straßenbahn nach Ludwigshafen. Da ich eine Deckadresse hatte von einer Hausbewohnerin bei uns, fuhren wir zuerst dorthin und überbrachten die herzlichsten Grüße von ihren Verwandten. Am Sonnabendnachmittag 14.00 Uhr ging dann Herr Richert zu Karin und bat um eine Aussprache. Nach Aussagen des Herrn Richert war Karin sehr überrascht, daß ihr Vater in Ludwigshafen ist und daß der Sportfreund ... gleichfalls mit anwesend ist. In einer halbstündigen Aussprache machte Herr Richert seiner Tochter auf das schlechte Verhalten aufmerksam und forderte sie auf, wieder in die DDR zu kommen. Desweiteren vereinbarte Herr Richert eine Aussprache um 19.00 Uhr mit Herrn Balzer, da dieser bis 17.00 Uhr gearbeitet hatte. Wir trafen uns dann um 19.00 Uhr am Hauptbahnhof in Ludwigshafen und gingen dann gemeinsam in das Bahnhofs - Hotel in Ludwigshafen. In einer dreistündigen Aussprache machte Herr Richert und ich den beiden klar, welch verwerfliche Tat sie getan haben und daß es ihre Pflicht ist, auf Grund der großzügigen Unterstützung, die sie bisher von der Regierung der DDR genossen hatten, unbedingt wieder in die DDR zu kommen. ... Wir vereinbarten daß wir uns am Sonntagfrüh um 9.00 Uhr treffen, ... Seitens der beiden Sportfreunde war am Sonntagfrüh auch noch keine ablehnende Haltung festzustellen. Als wir uns dann am Nachmittag die Veranstaltung in Kassel durch den Fernsehfunk ansahen, bekam er einen Brief von seiner Mutter, der ihn sehr beeindruckte. Er war nicht mehr so gesprächig .... Nun begann die Diskussion von neuem. ... Ich machte ihn nochmalig auf die Folgen seines Schrittes aufmerksam und sinngemäß antwortete er mir : Er würde also dann lieber in der Bundesrepublik zugrundegehen, als in die DDR zurückzukehren. ... Am Sonntagabend sagte ich dann den beiden, daß ich ihnen noch 24 Stunden Bedenkzeit lasse, um dann entgültig von ihnen zu wissen, ob sie mit in die DDR kommen oder nicht. Wir trafen uns dann am Montag 19.00 Uhr in der Nähe des Friedrich - Ebert - Parkes und auf meine Frage, ob sie mitkommen, haben beide gesagt, nein, sie bleiben hier. Herr Richert und ich machten dann beide nochmals auf die Folgen ihres Dortbleibens aufmerksam, daß sie also die letzte Chance ausgeschlagen haben, die ihnen die DDR bietet. Aus all den angefürten Gründen schlage ich vor, das beide Sportfreunde aus dem SC Chemie ausgeschlossen werden, desweiteren Ausschluß aus der Demokratischen Sportbewegung sowie Aberkennung des Titels "Meister des Sports" für Karl - Heinz Balzer. Der Grundorganisation der SED wird vorgeschlagen, eine Mitgliederversammlung anzuberaumen mit der Tagesordnung : Republikflucht des ehemaligen Genossen Balzer ."

eigenhändige Unterschrift des Verfassers .............

 

 

- Abteilung ... - Bericht vom 4.09.1958

"... Am 04.08.1958 traten Genosse ... und Herr Richert die Heimreise an. Beim Vater der Richert fand die Unterstützung zur geplanten Rückführung seiner Tochter, obwohl sie scheiterte, große Anerkennung. Es wurde mit ihm vereinbart, daß er mit seiner Tochter in Verbindung bleibt, um sich einschalten zu können, falls es zu einer Trennung zwischen Balzer und seiner Tochter kommt. Dazu wurde von unserer Seite Postumleitung beantragt, um weitere Anhaltspunkte über ihre zeitweilige Lage in Westdeutschland zu erhalten.... Balzer sowie die Richert besitzen noch ihren Personalausweis der DDR, die Richert hat außerdem ihren Reisepaß noch bei sich. ... Balzer arbeitet als Schlosser in einem mittleren Betrieb, während die Richert als Laborantin in einem Chemie - Großbetrieb arbeitet. Sportlich haben sie sich dem Sportverein "Phönix Ludwigshafen" angeschlossen. ... Bei neuen Momenten, die einen Erfolg in der Arbeit versprechen, werden wir uns mit der HA V/6 in Verbindung setzen, um weitere Maßnahmen zu beraten."

...... - Unterleutnant -

 

 

- Abteilung ... - Bericht vom 17.09.1958

"... In der selben Angelegenheit berichtete uns der GI "Tormann" folgendes : Der ... ,hat von Balzer einen Brief erhalten. Daraufhin wurde der Genosse ..., zu einer Aussprache am 16.09.1958, um 9.00 Uhr, nach Berlin bestellt. Die Aussprache in Berlin verlief mit dem Erfog, daß man beschloß, in derselben Nacht noch nach Westdeutschland zu fahren, um Balzer,Karl - Heinz, sowie die Richert, Karin wieder in das Gebiet der DDR zurückzuholen. Am späten Nachmittag besprach dann der Genosse ... die nötigen Fragen mit der Bezirksleitung der Partei, sowie noch deren Genehmigung mit uns."

...... Unterleutnant

 

- Abteilung ... - Bericht vom 23.09.1958

"Wie schon mitgeteilt wurde, fuhren der Gen. ..., und sein Fahrer mit dem PKW nach Ludwigshafen. Der Gen. ..., Verantwortlicher für Gesamtdeutsche Fragen ... unternahm die Fahrt mit dem Zuge. Die Abfahrt mit dem PKW erfolgte von ... am 16.09.1958 gegen 21.00 Uhr. Der Grenzübertritt erfolgte an der Kontrollstelle in Wartha. Der Übertritt verlief ohne Schwierigkeiten. Der Gen. ... ließ vom verantwortlichen Offizier die beiden PM 12 a für die Richert, Karin und Balzer, Karl - Heinz abstempeln, sowie einen kleinen Geldbetrag zur Absicherung für die Rückfahrt eintragen. Am Mittwoch gegen 8.00 Uhr traf der Gen. ... mit dem PKW in Ludwigshafen ein. Der Wagen wurde mit dem Fahrer von ihm außerhalb von Ludwigshafen geschickt. Er selbst suchte in dieser Zeit die angegebenen Adressen zu Fuß auf. In der Krügerstr. war der Balzer, Karl - Heinz wohnhaft, in der Hoheneckenstraße die Karin Richert. Dadurch ergaben sich auch die verschiedenen Absender. Die Aussprache am Mittwoch, die sich über mehrere Stunden hinzog, endete mit der konkreten Einwilligung und Festlegung der Rückfahrt. ... Die Rückfahrt von den Beteiligten erfolgte am Donnerstag, gegen 21.00 Uhr von Ludwigshafen. Gegen 6.00 Uhr trafen sie dann, durch Behinderung des Nebels, in ... ein. Die Rückfahrt verlief ohne jegliche Ereignisse.... Der Gen. ... , der zur Deckung mit der Bahn die Reise unternahm, traf in der Nacht vom Donnerstag zu Freitag wieder in ... ein. Von seiten des ... wurden die Richert, Karin und Balzer, Karl - Heinz für den 23.09.1958, 10.00 Uhr, zu einer Aussprache geladen, um sich über die weiteren Perspektiven zu unterhalten. Zu dieser Aussprache wird von unserer Seite der GI "Tormann" beauftragt mit teilzunehmen und bestimmte Fragen anzuschneiden,... ."

.. ... Unterleutnant

 

Der Fluchthergang aus dem Vernehmungsprotokoll Karin Richert des VPRKST - "West" vom 03.11.1958. In vorgenannten Berichten wurde der Hergang bestätigt.

" Am 20.07.1958 faßte ich zusammen mit dem Trainer Balzer den entschluß die DDR zu verlassen.... . Ich wollte nicht nach Berlin, da ich bei dem Sportfreund Balzer bereits seit 1955 trainiert wurde. Am 21.07.1958 fuhr ich von ... mit dem D-Zug und Sportfreund Balzer fuhr von Leipzig nach Berlin - Ostbahnhof. Dort stiegen wir in die S - Bahn bis zum Westkreuz nach Westberlin. Dabei fuhr jeder von uns getrennt. In Westberlin meldeten wir uns beide beim Leichtathletikverband. Der Sportfreund Balzer hatte dazu keinerlei Vorbereitungen getroffen. ... . Telefonisch setzten wir uns mit dem Vorsitzenden des westdeutschen Leichtathletikverbandes ... in Westberlin in Verbindung. Von diesem wurden Flugkarten nach Frankfurt /a.M. besorgt. Von dem Flugplatz Berlin - Tempelhof flog ich dann am 22.07.1958 mit Herrn Balzer aus. ..."